Home Eine Gesellschaft der Kasten

Als Kind war ich entsetzt über Ungleichheit. Einige Kinder trugen nie neue Pullover, lebten in kleinen, verdreckten Wohnungen und hatten Abendessen vor dem Fernseher. Sie hätten nicht gewusst, wie man sich in einem anständigen Restaurant verhält und ihre Sprache war ungeschickt; sie stolperten über ungewöhnliche Wörter. An unserem ersten Schultag legte unser Lehrer das ganze von uns mitgebrachte Schulmaterial, welches uns vorher auf einer Liste genannt wurde, in einen gemeinschaftlichen Korb, und keiner sah je die Dinge wieder, die seine Eltern für ihn gekauft hatten. Arme Kinder sollten sich auf diese Weise weniger arm fühlen.

Natürlich war das furchtbar für alle, die mit ihren Eltern sorgfältig eingekauft und eine zumindest halbwegs gute Auswahl getroffen hatten, wie Bleistifte, die nicht in scharfe Stücke zersplittern oder liniertes Papier, dessen Linien nicht verschwommen gedruckt sind. Sogar Wasserfarben reichten – gemäß der „Freiheit“ des Kapitalismus – von solchen, die nur dreckiges Wasser einer bestimmten Farbe hervorrufen konnten, bis zu tatsächlich brauchbaren. Währenddessen schleppten sich die betrunkenen und verarmten Eltern in den Discount-Laden und kauften „Geld sparend“ jeden minderqualitativen Unsinn, den sie bekommen konnten und schickten ihre Kinder damit zur Schule.

All diese Dinge kamen in den Korb, und jeder erhielt, was immer der Zufall bescherte – das ist „Fairness“. Dieser Einfall entstammt der großartigen Tradition, Menschen glücklicher zu machen, indem man ihren ungleichen Stand in die Aufmerksamkeit zerrt. Lasst geistig Behinderte auf eine Bühne trotten und mit einer Jazz-Band auftreten, damit das genervte Publikum vortäuschen kann, sie machten nicht nur unkoordinierten Lärm. Warum nicht das hässliche dicke Mädchen zur Ballkönigin ernennen? Wir machen die Verarmten glücklicher, indem wir jeden in der Klasse zwingen, sich der Gleichheit zu unterwerfen, so dass Ablehnung sich ausweitet.

Es war immer beunruhigend für mich – als ob ein Urteil über uns gefällt worden wäre, welches einige normal und einige arm und wenige reich hat werden lassen. In meiner Universitätszeit und den glücklichen Tagen unmittelbar darauf, glaubte ich, der einzige Weg, die Ungleichheit zwischen Reich und Arm zu beenden, wäre es, alles in einen Korb zu werfen, so dass beide Gruppen gleiche Bedingungen erhalten. Schließlich traf ich einen Mann, der in einer Wohnwagen-Siedlung aufgewachsen war, und der erklärte: „Die Mehrheit derer, die in den Wohnwagen lebten, gehörte auch dort hin.“

Er erklärte mir die verschiedenen Wege zur Armut: Nicht mit Geld umgehen können und unfähig zu vorausschauender Planung sein. Dumm sein. Drogen- oder Alkoholabhängigkeit. Oder kriminell sein und zu destruktiven, auch selbstzerstörerischen Taten neigen. Er sagte, es gab auch solche, die in die Armut hineingeboren wurden und in ihr blieben, da sie einfach nicht die Energie aufbringen konnten, langfristig eine Verbesserung zu erreichen, z.B. den Wohnwagen aufgeben oder zur Schule gehen oder auf andere Art als auf Raten kaufen können. Katastrophen kamen für sie überraschend, doch schlechtes Geschick war bereits erwartet und hatte nur geringe psychische Folgen.

Ich wusste nicht, wie ich das Gelernte einordnen sollte – sowohl das von ihm Gehörte als auch eigene Erfahrung mit den Armen. Sie waren nicht bereit für ein anderes Leben. Gab man ihnen Geld, gaben sie es geradewegs für die Lotterie oder Alkohol aus. Sagte man ihnen, man wolle helfen, lachten sie entweder oder sahen zu, was sie aus der Sache herausholen konnten. Es war hoffnungslos. Ich konnte keine Möglichkeit erkennen, wie diese Leute in einer Gesellschaft leben könnten, welche von ihnen die gleichen Dinge erwartet wie von einem Börsenmakler oder einem Arzt. Und hier lag mein Fehler: Ich dachte, alle Menschen sollten in die gleiche Form passen und gleiche Gegebenheiten haben.

Innerhalb der darauffolgenden Jahre begegnete ich dieser lächerlichen Vorstellung auf vielerlei Art. In einem meiner Jobs wurde es tabuisiert, dass unsere Kollegin Debbie, um es nett auszudrücken, verdammt dumm war. Unglücklicherweise konnten wir sie nicht feuern und mussten uns damit begnügen, ihr unwichtige Arbeiten zu geben, die ein anderer überprüfte. Das Ergebnis war, dass, als das Unternehmen in Schwierigkeiten war und einen Managementberater einstellte, dieser solche Mitarbeiter beförderte, die makellose Unterlagen aufwiesen. Da Debbie nie wichtige Projekte leitete, wiesen ihre Unterlagen keinen Misserfolg aus, und der Berater, auf die Zahlen schauend, machte sie zum Abteilungsleiter. Natürlich war es ihre erste Maßnahme, alle zu entlassen, die sie als klüger erkannte. Gelegentlich fahre ich an dem leeren Gebäude vorbei und lache.

Es war in einer ruhigen Nacht hier im Bunker, als ich die Bhagavad-Gita las und erfreut war über ihre Reichhaltigkeit und ihre vielen Metaphern. Wie die ihr ähnlichen Schriften, so die Iliade, die Äneis und das Nibelungenlied, benutzt dieses indo-europäische Epos eine Verschlüsselung, in welcher äußere Ereignisse sowie das durch sie hervorgerufene Handeln der Helden beschrieben werden, wobei dieses Äußere als Darstellung der menschlichen Psyche dient und auf einen aufwärtsstrebenden und kämpferischen Weg verweist. Das ist keine „Literatur“ für College-Studenten, Drogenabhängige, Vorstadtmuttis oder fettige Hippies; es ist Bildung für jene, die im Durcheinander der Welt stehen.

Ein Aspekt der Gita ist ihr weiser Rat zur Staatskunst, so etwas wie Machiavelli oder Dante, in dem eines der Themen das der Kasten ist. Nennt mich konditioniert, doch sobald ich diesen Teil las, kehrte das alte beunruhigende Gefühl zurück. Sind wir ehrlich und nennen es Schuld? Ich dachte wieder an die armen Kinder mit ihren Schulutensilien aus dem Billigangebot. Bilder verblasster Farben, schmieriger Radiergummis, schlecht linierten Papiers und auslaufender Stifte kehrten zurück mit dem Geruch der Klassenräume: vermischte Parfüms, Essensdüfte, Schweiß und Blähungen und das seltsame Sägemehl mit dem sie Erbrochenes aufsaugten.

Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Kastensystem sich grundlegend von einem Klassensystem unterscheidet. In einem Klassensystem werden wir danach bewertet, wieviel Geld wir verdient und angelegt haben und an unsere Nachkommen weitergeben. Bist du in einer Hotelküche beschäftigt, arbeitest dich in eine leitende Position hinauf und besitzt schließlich das Hotel, kannst du eine Hotelkette erwerben und unter den sehr Wohlhabenden leben. Du hast dich dann von der Unterklasse zur Oberklasse bewegt durch die feste Ausrichtung auf Reichtum. Dies bedeutet, dass die Oberklasse aus Menschen besteht, die sich mehr als andere dem Erwerb von Geld verschrieben haben.

Ein Kastensystem beruht auf Spezialisierung. So wie eine Rasse durch spezifische Eigenschaften entsteht, welche bestimmte Entscheidungen reflektieren, die als Gruppe getroffen wurden – wie z.B. das Benutzen von Technologie zur Spezialisierung auf ein agrarisches oder ein technologisches Dasein – reflektieren Veranlagung und Eignung einer Kaste deren vergangenes Handeln. Manche sind besser dazu geeignet, Bauer, Klempner oder Anwalt zu sein und in dieser Tätigkeit somit auch gesünder als es andere wären – egal ob wir dies auf ein Kastensystem anwenden, es ist etwas generell Wahres.

Ein bedauerliches Merkmal von Klassensystemen ist es, dass sie zwischen den Klassen Spott fördern, gewöhnlich auf einer darwinistischen Basis und durch die Illusion, ein Anwalt sei biologisch „erfolgreicher“ als ein Klempner. Diese widerliche Vereinfachung beruht auf der Anwendung einer einzelnen Karriere auf alle Menschen, es gibt dann eine Oberschicht (höchstbezahlt) und einen Bodensatz (ungelernte Arbeit). Auf diese Weise können jene, die viel Geld einnehmen, ihr geringes Selbstbewusstsein salben und sagen: „Wir alle hatten das gleiche Ziel und die gleichen Möglichkeiten, also stimmt mit euch etwas nicht“.

Ebenso wie in einer Demokratie ein obdachloser Alkoholiker die gleiche Möglichkeit der Wahl hat wie ein Held, besteht in einem Klassensystem der obere Rand der Gesellschaft aus Menschen, die jede Möglichkeit nutzten, an Geld zu kommen. Intelligente, hart arbeitende Menschen, die ein anständiges Unternehmen erfolgreich aufgebaut haben, werden gemessen an Pornoproduzenten, Drogendealern, internationalen Waffenhändlern und Leuten mit „genialen Ideen“ wie Fast Food, Wegwerffeuerzeugen oder Sitcoms. Man kann sich hier gut eine Tochter vorstellen, die den Eltern ihren Verlobten vorstellt und sagt: „Ich weiss, er ist gedrungen, hässlich, dumm und gemein, aber er hat eine Milliarde mit Anal-Pornos verdient.“

Ein Kastensystem hingegen unterteilt uns nach Pflichten und verleiht niemandem einen bevorzugten und gottgleichen Status. Wenn deine Kaste sich unter den Führern befindet, hat dies keinen größeren Wert als Klempner zu sein – es war nicht nur nicht deine Wahl, sondern es ist das Produkt deiner Ahnen, dass du ein Führer bist (und ein Test deiner eigenen Fähigkeit, da keine gesunde Gesellschaft Menschen akzeptiert, die nur Schein sind). Diese Tätigkeit ist nicht wichtiger als die eines Handwerkers, lediglich spezialisierter.

Man kann sich dies durch die Übertragung auf eine Rock-Band verdeutlichen. Wenn ein bestimmtes Maß musikalischer Fähigkeit vorhanden ist, dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, dass Schlagzeuger und Gitarrist die Rolle tauschen könnten, beide sind wesentlich in ihrer Position für das Funktionieren der Band. Selbst wenn der Gitarrist wahrscheinlich den Bassisten ersetzen könnte, wird er es möglichst nicht tun, denn sein Denken ist an eine andere Rolle gewöhnt und er würde somit dazu neigen, die Feinheiten des Bassspiels nicht zu beherrschen. Ebenso könnte jeder singen, doch nur einer ist darauf spezialisiert. Alle sind notwendig, andernfalls existiert die Band nicht.

Im Mittelalter und früheren Zeiten, brachte das Kastensystem solchen Menschen Nutzen, die heute in die allgemeine Gruppe der Arbeiter eingeordnet werden. Nutzen vor allem durch fehlende Verdienst-Konkurrenz und gesicherte Arbeit. So konnten sie sich ganz auf die Details jeder Aufgabe konzentrieren – Feinheiten, die von einem System, das auf Konkurrenz beruht, nicht gefördert werden. Führer mussten nicht heucheln, um gewählt zu werden, Handwerker mussten nicht auf die billigste Weise arbeiten, um ihre Preise „konkurrenzfähig“ zu halten. Jeder hatte einen Platz, und wenngleich es auch Konkurrenz gab, so lag diese in der Aufgabe selbst und nicht in der verschiedenen, aber damit verbundenen Aufgabe des Geldverdienens durch diese Fähigkeit.

Die Regierung würde lokalisiert, da in jeder lokalen Bevölkerung Führertypen wie Menschen jeder anderen Art vorzufinden sind. Jede Kaste hätte ihre eigene Zone und die Garantie auf Arbeit. Die Kompetenteren steigen an die Spitze ihrer Art und würden ähnlich betrachtet werden wie Anwälte, Ärzte, Führer. Die Feindschaft unter den Menschen, ausgelöst durch verschieden hohes Einkommen, wäre enorm vermindert, da sie nicht länger um den Höchstbesitz einer einzelnen Sache konkurrieren würden. Stattdessen würden sie arbeiten, um in dem Bereich die Besten zu werden, den sie optimal beherrschen.

Am wichtigsten jedoch ist, dass zwischen die Gruppen Liebe zurückkehren würde, während sie heute verbittert und rachsüchtig sind. Führer wären nicht wichtiger als Klempner, sondern nur verschieden spezialisiert. Ihre Aufgabe als jene, die letztlich für den Weg der Nation verantwortlich sind, wäre kein „Job“, sondern mehr ein Bestandteil ihrer Familie. Somit wären sie fähig, unmittelbar für ihr lokales Gebiet und dessen Menschen zu handeln. In einem solchen System können wir unsere Rollen annehmen und alle wichtig sein, ohne uns danach zu bewerten, wie gut man Geld durch Betrug oder Hype oder direkten Diebstahl „zu machen“ versteht.

Spricht man dieses Thema in einer modernen, liberalen Demokratie an, beginnen die Menschen natürlich von einem Verlust der „Freiheit“ zu reden. Fragt man, was Freiheit bedeutet, hört man maximal eine verträumte und liebgewonnene Illusion, in der jeder von uns Präsident, Sportstar, Superheld oder Mittelpunkt werden kann. „Nimm uns nicht die Freiheit“, rufen sie im Einklang. Es ist offensichtlich, dass etwas mit derart dummer Verzweiflung Behaftetes nicht die Wohltat ist, die es vorgibt zu sein, denn sonst hätten diese Menschen die großen Vorzüge der „Freiheit“ verwirklicht. Stattdessen haben sie Entschuldigungen: „Ich wurde unter einem schlechten Stern geboren“, „Mein Vater war Alkoholiker“, und Ähnliches. Rechtfertigungen, weil man nicht „frei“ ist.

Ein Klassensystem gewährt dir diese „Freiheit“, indem es dich und alle anderen in die Gleichheitskategorie der Arbeiter zwingt, in der du mit ihnen um Geld konkurrierst. Bist du nicht von Geld fasziniert, hast keine reichen Verwandten und keine „brilliante“ Idee wie gemischtrassige Liliputpornographie, wirst du für Kleingeld arbeiten, und obwohl es niemand offen sagt, wird jeder mit höherem Einkommen, einen Zuwachs an nach außen getragenem Selbstbewusstsein erfahren, denn er ist reicher. Dies macht klar, warum, ist Geld als Droge des falschen Selbstbewusstseins nicht mehr vorhanden, viele vormals erfolgreiche Menschen Selbstmord begehen.

Uns in Verdienst-Kategorien einzuteilen und zu glauben, dies sei darwin- als auch jesusgemäß eine Selektion der „Besten“ unter uns, ist Unsinn. Dies erschafft den Hass zwischen uns. Man selektiert nicht danach, wer die beste Arbeit macht, sondern danach, wer die meisten Menschen in den Kauf seines Produktes zu tricksen versteht, solange bis das Geld reicht, um es aus dem Kreislauf zu nehmen und sich damit zur Ruhe zu setzen. Und wer kann es den Menschen vorwerfen, sich täuschen zu lassen? Sie haben keinen ihnen durch die Tradition zugewiesenen Platz in der Gesellschaft und sind somit jedem zweiten Trottel ausgeliefert, der sie über den Tisch ziehen will, um seine Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Auf diese Weise änderte sich meine Haltung zum Kastensystem von Ablehnung zu Befürwortung. Hinsichtlich Reichtum werden wir niemals alle gleich sein, und einige Kinder werden die Wasserfarben für sieben Dollar bekommen, während andere die stinkenden für drei Dollar benutzen. Zu versuchen, die Ungleichheit durch Verdurchschnittlichung aufzuheben, heißt, uns alle unter einem System leiden lassen, welches für eine Person geschaffen wurde, die nicht existiert; eine fiktive, abstrakte, „normale“ Person, und dass wir als Resultat dessen uns gegenseitig an die Kehlen gehen, wegen kleinen Stücken Papier und Metallchips und Zahlen auf unseren Bankkonten. Das ist so dumm, Debbie würde es mögen.

December 19, 2004

Our gratitude to "718" for this translation.


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